Fehler

Nichts ist spannender, wie als Gast im Ausland schwere Fehler zu machen. Erstens lernt der Mensch bekanntlich daraus. Zweitens und nicht weniger bekanntlich zeigen sich besonders beim Fehlermachen die wahren Gesichter von uns. Auch hier in Taipei auf dem taiwanesisch-chinesischen Taiwan, wo ich den Juli über Vorlesungen am Medizinischen College arbeite:

Auf der Willkommensparty mit Präsident, Dekan, Professoren-Kollegen, Sponsoren und Verbandsfunktionären stand der Ober neben mir und wartete wohl ewig geduldig, bis ich das Getränk für die ersten Begrüßungsworte ausgewählt hatte. Ich war prima vorbereitet, denn ich hatte gelesen, dass der heimatliche Reiswein hier gerne getrunken würde und erbat eben diesen

Als Verbeugung sozusagen. Kurze Verwirrung, aber dann kam der Reiswein. Für alle anderen. es wurde getrunken, was der Gasttrank. Der Wein jedoch war nicht in einem Glas, sondern in einem Kleinstgläschen, das mich an den Fingerhut meiner Großmutter beim Nähen erinnerte

Ich lernte, dass bestimmte Weine hier schluckweise getrunken wurden. So wie Schnaps. Dies wiederum erinnerte mich an Eckhardt Krause in Bevensen und Heiner Brüggemann in Allenbostel Von denen hatte ich früher gelernt, wie man richtig Klaren und anderen Schnaps trinkt Zügig, in einem Rutsch und das Gläschen mannhaft hörbar hinterher aufstellend. Eben dies tat ich, weil meine Gastgeber auf das heben meines Fingerhutes höflich-freundlich warteten. Ich war eben in Asien. Das kollektive Raunen, das durch meine Gastgeberrunde eilte als ich trank, sowie die versammelten Blicke auf mich zeigten mir ganz Verschiedenes: Ungläubiges Staunen, erwartungsvolles Entsetzen, mitfühlende Hilfsbereitschaft. Währenddessen wanderte in der Tat eine Pfeffersauce pur meine Kehle zentimeterweise hinab, die gepfeffert war.

Der Präsident Chung-Hong Hu war auch einer, fasste sich als erster, prostete mir zu, indem er aus seinem Fingerhut einen Schluck nahm, den ich wiederum aus Alexander Spörls ,,Feuerzangenbowle“ mit unserem Rühmann kenne. „Einen winzigen Schluck".

Später dann lernte ich von meinem USA-erfahrenen Kollegen Ike Li-Jung Chang über meinen deutschlanderfahrenen Übersetzer Gabriel (0) Hong, was ich getrunken hatte und wie ich es hätte trinken sollen: In winzigsten Schlucken. Und meine Gastgeber hatten gedacht und gehofft, ich würde Mosel oder Rheinhessen erbitten - und nicht den ihnen sattsam bekannten Trunk. Den weiteren, herzlichen Abend über gab es besorgte Fragen, wie mir mein Riesenschluck aus dem Fingerhut bekomme. Ich konnte authentisch antworten: Sehr gut. Das Training mit Eckhardt und Heiner Brüggemann zeigte Wirkung. Hörte nur ich aus den Fragen der asiatischen Freunde auch ein Stück Bewunderung heraus für die niedersächsische Trinkfestigkeit?

Jedenfalls brachten mir gestern Ike Li-Jung Chang und YePi Chen weiteres Geschenk auf mein Zimmer. Schottischen Whisky. Eine große Flasche für mich. Eine Damenflasche für Christine. Nur ein winziger Schluck.

25. Juli 2000